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Laura Dekker Foto: zeilen.com |
Dieser Artikel erschien zuerst im März in Ausgabe 3 - 2012 des niederländischen Magazins ZEILEN (Segeln) .
Wir möchten Herrn Cees van Dijk, Chefredakteur von Zeilen, herzlich für die Erlaubnis zur Übersetzung und zur Veröffentlichung danken.
Viel Vergnügen!
Thomas Weber & 45N73W
NB
[ ] Passagen in eckigen Klammern sind Anmerkungen des
Übersetzers.
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Magazins Zeilen Ausgabe 3, März 2012 |
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Magazins Zeilen Ausgabe 3, Mârz 2012 |
Die Weltumsegelung der
16-jährigen Laura Dekker ist zu Ende. Etwas mehr als ein Jahr nach ihrer
Abreise legte sie mit ihrer Segeljacht „Guppy“ beim Jachtclub von Sint Maarten
an. Sie ist die Jüngste, die jemals die Welt umsegelt hat. ZEILEN-Redakteur Eric
van Staten war dabei, um Laura willkommen zu heißen. Text und Fotos von E. v.
Staten
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NUN NOCH DIE SCHULE…
Fotos: Zeilen magazine
Mit einem 800 Dollar Treibstoff pro Stunde schluckenden Mega-Speedboot
sind wir unterwegs zu Laura Dekker. Auf dem Atlantischen Ozean segelt sie die
letzten Seemeilen ihrer Weltumsegelung. Kurz zuvor gab es einen SMS Kontakt mit
der Seglerin. Sie segelt einige dutzend Seemeilen von ihrem Ziel entfernt, der
Simpson Bay auf Sint Maarten. Auf offener See suchen die Eltern von Laura, ihre
Schwester Kim und Oma und Opa den Horizont ab. Es ist Mutter Babs, die als
erste in weiter Ferne das Boot ihrer weltberühmten Tochter entdeckt. Die
13-jährige Kim rast zum Bug der Luxusmotorjacht, ihr dicht auf den Fersen
folgen ihre Mutter und Vater Dick. Der Skipper unseres Bootes lässt die 4.000
Pferde arbeiten. Wir ‚fliegen‘ in die Richtung von Guppy. Für die Familie Dekker kann es nicht schnell
genug gehen. Unaufhörlich winken sie Laura zu. Die lässt ihr Boot vom
Autopiloten steuern während sie im Cockpit sitzt und ein paar Mal zurückwinkt.
„Hallo Mädchen…“ ruft ihre Mutter, die ihr Kind vor einem Jahr zum letzten Mal
gesehen hat. Beim Wiedersehen mit ihrer Tochter rollen Tränen über ihre Wangen.
Die ist zwar auch froh, ihre Familie wiederzusehen, aber trotzdem macht sie
keinen Freudentanz auf Deck. Konzentriert, ab und zu lachend und ihre Hand
hebend, verfolgt sie ruhig ihren Weg. In Guppys Kielwasser fährt ein
Schlauchboot der Küstenwache. Die Besatzung passt darauf auf, daß niemand zu
nahe an sie herankommt. Unser Boot darf aber innerhalb der 40-Meter Zone
fahren.
***
Augapfel
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Magazins Zeilen / 1 Foto: Magazins Zeilen |
"Mit Deiner Ruhe ist es jetzt vorbei, Laura,“ ruft Mutter Babs, auf den
Empfang hindeutend, der Laura auf Sint Maarten erwartet. Die übrigen
Familienmitglieder winken und fotografieren munter drauf los und rufen ihrem
‚Augapfel‘ schon Glückwünsche zu. Am Kai bei der Einfahrt zur Simpson Bay, aber
auch beim Sint Maarten Jachtclub haben sich hunderte Menschen versammelt um
Laura zu begrüßen. In den Morgenstunden herrschte bei den Mitgliedern des
Empfangskomitees noch ein wenig Angst, daß Laura, um allem zu entgehen, ihre
Guppy zu einer anderen Insel anstatt nach Sint Maarten gesteuert hat. Diese
Angst wird noch verstärkt, als ein eigens gemieteter Helikopter die Seglerin
und ihr Boot nirgendwo auf See entdecken kann. Nach einiger Suche wird die etwa
dreißig Jahre alte, rote Jeanneau Gin Fizz zur Erleichterung Aller schließlich
doch gesichtet, und Laura scheint Kurs auf Sint Maarten gesetzt zu haben. Daß
hunderte Schaulustige darauf brennen, sie zu sehen, ist für Laura überhaupt
kein Grund, in Sichtweite des Hafens hastig ihre Segel einzuholen. Während die
Anzahl der um Guppy herumfahrenden Boote ständig größer wird nimmt sie sich die
Zeit, um alle Segel sicher zu bergen. Und erst als das erledigt ist, fährt sie
mit Motorkraft in Richtung der Brücke der Simpson Bay bei Philippsburg. Von den
Schiffen, die draußen vor Anker liegen, dort kommt ein ohrenbetäubendes Tuten. Allen
an Bord des Familienbootes läuft ein Schauer über den Rücken. „Ich kneife mich
selbst dauernd in den Arm. Es ist, als ob ich in einem Traum bin. Ich kann es
fast nicht glauben“, sagt Riet [Riek] Dekker, die Oma von Laura, die vor Lauras
Abreise noch ein Buch über ihre Enkeltochter geschrieben hatte. Ihr Mann hat
seine Augen ausschließlich auf die Seglerin gerichtet. „Das ist schön, so
schön“, stammelt er als Antwort auf die Frage, was er empfindet. Auch Lauras
Vater kann kein Wort herausbringen. Das Lächeln auf seinem Gesicht spricht
hingegen Bände: er ist so stolz wie ein Pfau. Und zu Recht! Was, wenn es ihr
Kind gewesen wäre, das in so jungen Jahren und eigentlich ohne Probleme um die
Welt gesegelt ist, das eine außergewöhnliche Leistung vollbracht hat, die
weltweit Respekt abnötigt.
***
Ehrenrunde
Auf Wunsch der Medienvertreter, die nicht bei Lauras Begrüßung auf See
dabei sein durften, dreht sie kurz darauf in der Simpson Bay eine kleine
Ehrenrunde. Danach legt sie vor dem Clubhaus an. Sichtlich gelassen läßt sie
alles über sich ergehen. „So ein Empfang ist nicht gerade mein Ding. Na ja, das
gehört dazu. Ich war darauf vorbereitet was passieren würde. Es war
überwältigend. Eigentlich genau das, was ich erwartet hatte“, sagt Laura, die –
als sie gerade mit beiden Füßen auf dem Anleger steht – von ihrer in Tränen
ausbrechenden Schwester fast zu Tode gedrückt wird.
Die Seglerin, bei der keine Spur von Emotionen zu bemerken ist,
versucht sie zu trösten. „Kommst Du das nächste Mal mit mir mit? Hast Du deine
Haare rot gefärbt? Hast Du das gemacht, weil ich das unterwegs auch getan
habe?“ Mutter Babs, im wirklichen Leben Clown von Beruf, versucht ihre Tochter
zu umarmen. Laura reagiert darauf nicht sondern plaudert weiter mit ihrer
Schwester. Ihre Mutter zieht sich zurück und fängt in einiger Entfernung an zu
weinen. Zum Glück ergibt sich ein paar Minuten später für sie die Gelegenheit,
ihr Kind doch noch in die Arme zu schließen. Es ist ein rührender Anblick.
„Mit Lauras Vater bin ich selbst
auch um die Welt gesegelt. Auf den Ozeanen ist manin so einem Schiffchen so
winzig klein. Keine Ahnung, wie sie das geschafft hat. Ichbin jetzt wahnsinnig
glücklich.“ Die Ankunft auf Sint Maarten ist ein schöner, feierlicher Abschluß
dieser außergewöhnlichen Leistung, die Laura vollbracht hat. Kinder vom
Jachtclub haben Transparente aufgehängt, worauf der Seglerin zu ihrer
Weltumsegelung gratuliert wird. Sie haben Blumen für ihr Idol, das dadurch in
Verlegenheit kommt, denn eine Vase für den Blumenstrauß hat sie nicht an Bord.
Ein leerer Karton, in dem einmal Fruchtsaft gewesen ist, schafft Abhilfe. Die MinisterinfürBildung
und Sport von Sint Maarten, Dr. Rhoda Arrindell, spricht von einer heroischen
Leistung. „Ich erwarte, daß Dein neues Ziel sein wird, Deinen Schulabschluß zu
machen“, sagt die Ministerin. Laura hört das alles mit einem Lächeln an. Noch ein
weiterer Pflichttermin wartet: die Presse darf ihr ein paar Fragen stellen. Daß
die Seglerin es nicht so mit den Medien hat, ist bekannt. Nach ein paar
klischeehaften Antworten wird die Presse aufgefordert zu verschwinden, und
Laura zieht sich mit ihren Eltern und ihrer Schwester in Guppys Cockpit zurück.
Ein Lachen erscheint auf ihrem Gesicht, als jemand ihr einen Teller mit Pommes
Frites und einem Hamburger bringt. Einen Tag später ist Laura mit ihrem Freund
an Bord von Guppy. Sie ist bereit, mit ZEILEN zu sprechen. Wir waren das erste
Magazin, das jemals über sie geschrieben hat, nämlich als sie als 13-jährige
zum ersten Mal die Nordsee überquerte [siehe hierzu Zeilen Magazin Ausgabe 7 -
Juli 2009 „SOLO NACH ENGLAND“]. Seitdem sind wir immer in Kontakt geblieben.
***
Schule
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Magazins Zeilen / 2 Foto: Magazins Zeilen |
Auf die Frage, was sie in der nächsten Zeit tun werde, antwortet sie:
“Vorläufig bleibe ich noch ein paar Tage hier. Danach segle ich nach Bonaire.
Im März komme ich in die Niederlande zur HISWA [Amsterdam Boat Show]. Danach
möchte ich gern nach Neuseeland. Was ich dort tun möchte, weiß ich noch nicht.
Ich möchte unter allen Umständen meinen Schulabschluß machen.“ Sie sagt, daß
sie ihrer Segeljacht treu bleiben werde. „Dieses Boot ist mein Zuhause. Mit
Guppy möchte ich gern noch einmal den Pazifik erkunden.“ Kurz vor ihrer Ankunft
in Sint Maarten holte Laura auf ihrem Weblog zu einem Schlag gegen die
[niederländischen] Behörden wie Jeugdzorg [niederländisches Jugendamt] aus, die
ihr nicht nur vor ihrer Abreise sondern auch während der Reise das Leben schwer
gemacht haben sollen.
„Jetzt, nachdem ich fast um die
ganze Welt gesegelt bin, in schwierig anzusteuernde Häfen eingelaufen bin,
gefährliche Riffe umsegelt habe und die schwersten Stürme durchstanden habe,
immer mit voller Verantwortung für meine und Guppys Sicherheit, fühle ich, daß
mich die niederländischen Behörden völlig falsch behandelt haben. Ich habe
Angst, daß mich die Albträume mein Leben lang verfolgen werden.“ Laura schrieb,
daß sie von Mitarbeitern des Raad voor de Kinderbescherming [Rad für den Schutz
der Kinder] und Jeugdzorg [Jugendamt; in den Niederlanden wird die Aufgabe des
Jugendschutzes von diesen beiden voneinander unabhängigen Organisationen
wahrgenommen] eingeschüchtert worden zu sein. Auf meine Frage, auf welche Weise
sie das getan haben, verweigert Laura die Antwort. „Ich versuche, das alles so
schnell wie nur möglich zu vergessen.“
***
Die Medien
Das Interesse für die Ankunft auf Sint Maarten ist groß, dennoch ist
der Manager vonLaura, der auf Bonaire ansässige Gerard van Erp, sichtlich
enttäuscht. Er hatte mit tausenden Besuchern gerechnet. Auch die Zahl der Medienvertreter
ist viel geringerals van Erp erwartet hatte. Am Tag zuvor sprach er noch von
einigen hundert Journalisten aus dem In- und Ausland. „Jeder will dabei sein
und mit Laura sprechen.“ Um das erwartete riesige Medieninteresse in die
richtigen Bahnen zu lenken hat Van Erp zusammen mit der Medienfirma Qua Media,
die die Videobilder der Ankunft verkauft, einen Medienkodex verfasst.
Die Bestimmungen, an die sich die
Medien halten müssen, lassen vermuten, daß die königliche Familie zu Besuch
kommt. Aber gemäß Anton van Koppel von Qua Media dienen diese Bestimmungen
hauptsächlich dazu, Laura und ihre Familie vor allzu aufdringlichen Journalisten
zu schützen. Beispielsweise enthält der Kodex, daß die Betreffenden nicht ohne
Zustimmung fotografiert werden dürfen, und natürlich dürfen ihnen auch keine
mündlichen Äußerungen entlockt werden. „Journalisten und Fotografen, die den
Kodex nicht unterschreiben wollen, können gleich wieder verschwinden“, sagt Van
de Koppel.
***
Absagen
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Magazins Zeilen / 3 Foto: Magazins Zeilen |
Daß nichts so heiß gegessen wird wie es gekocht wurde wird schnell
klar. Für Freitagnachmittag ist eine Versammlung der Pressevertreter geplant.
Um 17 Uhr füllt sich der Sint Maarten Jachtclub. Jedoch scheinen es
hauptsächlich Besucher der ‚Happy Hour‘ zu sein. Zur Überraschung von Van Erp,
der nach allerlei Ausflüchten sucht, haben die vielen Hundert erwarteten
Journalisten abgesagt. Am Tag der Ankunft ist das nicht anders. Der Anleger, an
dem Laura später am Tag mit Guppy anlegen soll, ist mit Gittern abgesperrt. Es
gibt spezielle Bereiche für die Presse. Schilder an den Gittern warnen, daß das
Fotografieren ohne Zustimmung der Organisatoren verboten ist. Am frühen Nachmittag
wird es etwas voller am Jachtclub. Nicht mit Reportern, sondern vor allem mit
Mitgliedern von Lauras Familie. Für diejenigen, die sie nicht kennen, sind sie
deutlich an ihren roten Polohemden erkennbar. Sehr praktisch für die Handvoll
Reporter, die nach Sint Maarten geschickt wurden und für die vor Ort ansässigen
Reporter, die über die Ankunft berichten sollen. Mit dem Ende ihrer Reise ist
Laura wieder weltweit in den Medien präsent. Die Bilder ihrer Ankunft auf Sint
Maarten fliegen durch das Internet und werden von allen Nachrichtensendern
ausgestrahlt. Manager Van Erp sagt, daß seine Mailbox mit Anfragen nach
Interviews fast aus allen Nähten platzt. Nahezu alle Anfragen werden
abgewimmelt. Auch die vom deutschen Fernsehmoderator Thomas Gottschalk, der
Laura gern als Gast in seiner neuen Fernsehshow begrüßen würde. Geld spiele
keine Rolle; ein Privatflugzeug stehe schon bereit, um die Seglerin abzuholen.
Gottschalk, der in der Vergangenheit die größten Weltstars in seiner Sendung zu
Gast hatte, ist fassungslos, als das Zeilmeisje, das Segelmädchen, ihm einen
Korb gibt. Sie entscheidet sich dafür, mit ihrem Freund an Bord ihrer treuen Reisegefährtin
Guppy zu bleiben.
***
Laura segelte für sich selbst
Kurz vor der Ankunft auf St. Maarten war es plötzlich in
allen Medien, daß Laura nicht als jüngste Weltumseglerin in das Guinness Book
of World Records aufgenommen werde. Für die Seglerin selbst war das nichts
Neues, denn das wußte sie bereits, als sie vor mehr als einem Jahr lossegelte.
„Ich finde es wirklich nicht schlimm, daß ich nicht in das Guinness Book of
Records aufgenommen werde. Mike Perham war im Jahre 2009 der Letzte, der
aufgenommen wurde, und ich habe die Reise niemals wegen eines Rekordes für den
Rest der Welt gemacht, sondern einfach nur für mich selbst.“ Laura benötigte
für ihre Weltreise etwas mehr als ein Jahr. Insgesamt ist sie 27.000 Seemeilen
gesegelt [50.000 Kilometer]. Ihr Kindheitstraum, allein um die Welt zu segeln,
bewegte viele Gemüter. Bevor sie Guppys Trossen loswerfen konnte, kämpfte sie
einen juristischen Streit mit Beamten von den Jugendbehörden, die sie auch
während ihrer Reise weiter behelligten. Sehr zum Leidwesen der eigensinnigen
Seglerin, die in Darwin, Australien, die Niederländische Flagge gegen die von
Neuseeland austauschte. Es kam selten vor, daß über ein 16-jähriges Mädchen so
viel gesagt und geschrieben wurde wie im Fall von Laura. Jeder hatte eine
Meinung über sie. Mit ihrer Ankunft in Sint Maarten stand sie weltweit im
Mittelpunkt des Medieninteresses. Es ist geplant, daß Anfang April das Buch
„Rechttoe, rechtaan, zeilmeisje“ [etwa „Segelmädchen - Immer geradeaus“; Titel
später in „Eeen meisje, een droom“ – „Ein Mädchen – ein Traum“ geändert. Das
Buch soll im Mai erscheinen] herauskommen, das größtenteils von Laura selbst
geschrieben wurde. Die amerikanische Regisseurin Jillian Schlesinger ist im
Augenblick mit den letzten Arbeiten an der Dokumentation über die Soloreise
beschäftigt. Die Fernsehproduktionsfirma Eyeworks hatte ursprünglich vor, eine
Fernsehserie aus den Filmaufnahmen zu machen, aber die Verhandlungen
scheiterten. Auf Sint Maarten sagte Laura, daß sie sich in Neuseeland
niederlassen möchte. Was genau sie dort tun möchte, weiß sie noch nicht. Sie
möchte aber unter allen Umständen ihren Schulabschluß machen.
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Dieser Artikel ist im März in Ausgabe 3 - 2012 des niederländischen
Magazins Zeilen
NB
[ ] Passagen in eckigen Klammern sind Anmerkungen des
Übersetzers.